27. Juni – 4. Juli 2020: Schweizer Alpenüberquerung vom Bodensee zum Lago Maggiore

Man kann sich ja so einiges antun als Wanderer in den Bergen, da gibt es Tagestouren und Zweitagestouren oder auch einmal ein verlängertes Wochenende, was aber ein richtiger Bergwanderer ist, der sollte zumindest schon einmal eine einwöchige Durchquerung gemacht haben, nicht zuletzt, um auch einmal die Erfahrung gemacht zu haben, was es bedeutet, eine Woche ohne großen Koffer oder sonstiges Gepäck und ohne den Luxus, den man von zuhause gewöhnt ist, auszukommen. Muss man doch alles, was man in dieser Woche braucht, mehr oder weniger ständig auf dem Rücken mittragen. Das hört sich für die meisten Leute jetzt erstmal nicht gerade einladend an, zumal man auf einer einwöchigen Tour neben den sonstigen Entbehrungen auch der körperlichen Hygiene nicht in dem Maße frönen kann, wie man es vielleicht sonst so tut (Beim Ein oder Anderen machts vielleicht nicht mal den großen Unterschied…[Anm. d. Verf.]). Was liegt da also näher, einmal die Alpen zu Fuß zu überqueren? Alpenüberquerungen sind ja bereits seit Erschließung des Europäischen Weitwanderwegenetzes in den 1970er Jahren, zu denen auch z.B. der E5 (Konstanz-Verona) mit seiner beliebten Teiletappe Oberstdorf-Meran, gehört, bekannt und beliebt. In letzter Zeit jedoch lässt sich ein Trend bei Bergwanderern und Bergsteigern feststellen, der immer mehr in die Richtung Weitwandern von Hütte zu Hütte geht, was ja an der Frequentierung des sog. „E5“ leicht ersichtlich ist. Naja, wenn man sich also vornimmt, eine Alpenüberquerung zu starten, dann würde ich persönlich davon abraten, eine der bekannten und stark frequentierten Routen, von denen es ja einige gibt (Oberstdorf-Meran, München-Venedig, Watzmann-Drei Zinnen, usw.) zu wählen und stattdessen mal eine Alternative auszuprobieren. Theoretisch gibt es ja unzählige Wege, auf denen man die Alpen überqueren kann und wenn man sich mal was anderes überlegt, hat man auf der einen Seite die schöne Herausforderung, eine noch wenig begangene Route zu planen, immerhin soll die Unternehmung ja innerhalb einer Woche zu machen sein, und auf der anderen Seite hat das ganze noch einen recht abenteuerlichen Charakter, ersten wegen der teilweisen Einsamkeit unterwegs, und vor allem aber, weil man nicht weiß, was in dieser Woche alles auf einen zukommt. Und so entschließen wir uns, die Alpen auf Schweizer Boden, nämlich ausgehend vom Bodensee mit Endziel Lago Maggiore, der beinahe jeden Tag vor unserem geistigen Auge schwebt, zu überqueren. Bereits in der Planungsphase im Frühjahr 2020 ist für uns klar, dass wir uns da auf ein ziemliches Abenteuer einlassen werden. Neben der Planung der einzelnen Tagesetappen und der Reservierung aller Unterkünfte (Hotels, Pensionen und SAC-Hütten) einschließlich unseres zweitägigen Aufenthaltes am Lago Maggiore, kommt noch die Organisation der Logistik dazu. Wer nämlich glaubt, die Alpen in einer Woche komplett zu Fuß überqueren zu können, den muss ich hier leider gleich mal herb enttäuschen (außer es handelt sich um ein ausgesprochenes Konditionswunder). Die Überquerung Bodensee-Lago Maggiore, genauso wie alle anderen einwöchigen Alpenüberquerungen, beinhaltet eine ganze Reihe von Taxi-, Bus- und Zug-, ja sogar Seilbahnfahrten, weil das Pensum wie gesagt innerhalb einer Woche schlicht und ergreifend nicht machbar ist. Die Alpen sind halt doch a bissl weitläufiger als unsere Ammergauer. Aber jetzt mal der Reihe nach:

Noch bevor es für uns sechs (Hans und Brigitte, Michaela, Steffi und Evi, Niko) am Samstag, den 27. Juni 2020 losgeht, fängt das Abenteuer daheim schon an. Nach mehreren Vorbesprechungen und langen abendlichen Telefongesprächen muss nun entschieden werden, was nehm ich denn alles mit und was brauchts überhaupt net, soll doch das Rucksackgewicht die Schallmauer von 15kg nicht durchbrechen. Am Ende läufts dann wie immer darauf raus, dass man sich sagt: „So, was i jetzt dabei hab, hab i dabei und was i net dabei hab, des brauch i auch net“. Gott sei Dank haben die Mädels noch jede Menge Schnaps und Dosensekt bis mitten in die Schweiz geschleppt, wie hätten wir sonst unsere Tageserfolge feiern sollen? Wir lassen uns also von unserem Privatchauffeur Albert am Samstagmorgen von Steingaden über Bregenz nach Feldkirch im Rheintal bringen, genauer gesagt nach Frümsen, um dort mit der Staubernbahn (da ist sie schon, unsere erste Seilbahnfahrt, und wir sind noch nicht einen Meter zu Fuß gegangen!), auf den gleichnamigen Gipfel (1745m) zu fahren. Von dort geht es immer auf dem Höhenrücken des Furgglenfirstes (1900m) und des Saxer Firsts (2150m) entlang in leichtem Auf und Ab zum Mutschensattel (2098m) mit prächtigen Ausblicken über das ganze Rheintal hinweg und bis hinaus zum Bodensee, der, wenigstens auf dem Papier, unseren Startpunkt markiert. Auf der Westseite drüben schaut der Säntis mit seiner riesigen Antennenanlage herüber. Nach einem kurzen Abstecher auf den Mutschen (2122m, wenn da schon ein Gipfel genau neben dem Weg steht, dann nehm mer den au mit…) geht’s hinunter zur Teselalp (1433m), wo wir schon unser erstes Gewitter abwarten müssen. Auf dem Weg von Steingaden nach Feldkirch, fällt mir grade ein, hat es in einer Tour geschifft und zwar nicht wenig, so dass wir schon die schlimmsten Befürchtungen hatten, die haben sich aber dann Gott sei Dank nicht bewahrheitet. Nun ist es nicht mehr weit bis zu unserer ersten Unterkunft in Schönenboden (1103m), dem Zimmer & z´Morgä, was soviel bedeutet, wie die Schweizer Übersetzung von Bed & Breakfast. Ja, die Schweizer haben halt no Ihren Nationalstolz, gell. Übrigens darf gleich hier noch erwähnt werden, dass wir wirklich Glück hatten mit unseren Unterkünften, die ausnahmslos toll geführt waren, wahnsinnig freundliche Besitzer bzw. Personal hatten, so wie alle Schweizer, die wir in dieser Woche getroffen haben, und allesamt mit echten kulinarischen Highlights aufwarten konnten, und das lag nicht an unseren bis auf Null heruntergeschraubten Ansprüchen an diese Woche! Nach unserer ersten geruhsamen Nacht auf Schweizer Boden geht’s am zweiten Tag gleich nach dem Frühstück und einem kurzen Transfer durch unseren Herbergsvater mit der Selunbahn (schon wieder ne Seilbahn, die zweite schon und das am zweiten Tag!!!) von Starkenbach auf die Alpe Selun (1578m). Diese Seilbahnfahrt sollte sich aber wirklich niemand entgehen lassen, ist die Bahn doch als Materialseilbahn für die oben auf der Alp gewonnene Milch konzipiert worden und erst nachträglich zur Personenbeförderung zugelassen worden. Dementsprechend abenteuerlich luftig mit viel freier Sicht nach allen Richtungen werden die 500 Höhenmeter auch überwunden. So was wäre bei uns hierzulande einfach undenkbar und man muss schon sagen, dass die Schweizer, ganz entgegen ihrem hiesigen Ruf doch mit einer gehörigen Portion Gelassenheit gesegnet sind, echt cool! Nachdem wir dann mit zwei Bergfahrten alle glücklich oben angekommen sind und auch sämtliche im Tal oder in der Bahn vergessenen Ausrüstungsgegenstände mit der dritten Fuhre heraufbefördert waren (ge, Steffi!), geht’s für uns in lieblichem Alpgelände immer unter den Churfirsten entlang über ausgedehnte Karrenfelder bis auf 1830m hinan, um unter dem Leistchamm, einem der Churfirstengipfel, nach Arvenbüel (1272m) abzusteigen. Dort kommt auch schon, einer sekundengenauen Punktlandung gleichend, unser Taxifahrer an, der uns äußerst herzlich empfängt und uns unter fortwährendem, sehr amüsantem Mitteilen fast seiner ganzen Lebensgeschichte zum bekannten Urnerboden fährt. Nur schad, dass die Lebensgeschichte so gut wie niemand (außer mir, ich saß am Beifahrersitz) mitbekommen hat, stellt sich doch bei solchen mittäglichen Taxifahrten nach anstrengendem Vormittag bei den Teilnehmern wie immer auf solchen Alpenüberquerungen eine ausgesprochene Mittagsmüdigkeit ein. Gut ausgeschlafen (bzw. um einige Stories reicher) kommen wir also in dem kleinen Bergdorf im Kanton Uri an, um dort mit der Gondel (jetzt reichts aber, das ist schon die zweite am selben Tag, insgesamt die dritte!!!) zum Fisetenpass (2033m) hochzufahren. Da unser Taxifahrer bestens mit dem Seilbahnwärter bekannt ist, handelt er auch gleich noch einen Sondertarif für uns aus und wir verabschieden uns voneinander, als wären wir gerade einen Monat gemeinsam unterwegs gewesen, derweil waren es gerademal eineinhalb Stunden. Nein, unser Taxifahrer war echt der netteste und lustigste Mensch, den man sich vorstellen kann, man hat es ihm förmlich angesehn, dass er seinen Beruf liebt, er war ja auch schon weit jenseits des Rentenbescheids. Vom Fisetenpass geht es in ansprechendem Gelände durchs Fiseten-Hochtal und um den NO-Grat des Rotstockes herum hinauf zur Claridenhütte (2451m). Ab dort, bzw. schon einige hundert Meter vorher haben wir zum ersten Mal Schneekontakt, es ist ja auch noch recht früh im Sommer. Vielleicht noch ein paar Worte zum Wetter: Nach dem sommerlichen Gewitterintermezzo am Nachmittag des ersten Tages erwartet uns ein weiterer Sommertag, an dem ab dem Spätnachmittag Gewitter angesagt sind. Da wir ab ca. 2200m auf dem Anstieg zur Claridenhütte im Nebel unterwegs sind, ist die Stimmung hin und wieder etwas mulmig, da man ja nicht sieht, was da oben wettertechnisch auf einen zukommt, aber wir haben Glück und erreichen die Hütte im Trockenen. Hier kommt jetzt endlich der Dosensekt zum Einsatz, da die Mädels beschlossen haben, dass sie ihn nicht wieder nach Hause tragen wollen. Für den Abend waren wie gesagt Gewitter angesagt, die dann über Nacht und den gesamten darauffolgenden Montag in Dauerregen übergehn sollten, so zumindest die Vorhersage. Nach einer kleinen abendlichen Erkundungstour meinerseits bis zum Gletscherrand des Claridenfirnes, um einen Überblick übers Gelände zu bekommen, falls die Sicht am nächsten Tag eingeschränkt sein sollte, hat es dann auch angefangen zu regnen und zwar gscheit. Das macht uns aber nichts, denn wir sitzen vor dem Kaminfeuer der Claridenhütte und lassen uns von der Hüttenwirtin Angi Ruggiero und ihrem Mann (oder jüngerem Lebensgefährten, wir haben das genaue Beziehungsverhältnis nie erfahren…) bei vegetarischem Abendessen, was auch für eingefleischte Fleischfresser ein Vergnügen war, und Rotwein verwöhnen. Wir waren außer einer Viererschaft an Einheimischen die einzigen Gäste auf der SAC-Hütte, dementsprechend exklusiv war auch die Behandlung und man muss schon sagen der ganze Abend. Auch auf SAC-Hütten ist dann irgendwann mal Hüttenschluss, da uns der Rotwein aber so gut geschmeckt hat, hat uns der nette Wirt gleich noch eine Flasche mit ins Bettenlager gegeben. Ja wo gibt’s denn so was? Ich selbst habe das auf einer AV-Hütte auch noch nicht erlebt, aber die Antwort ist: Auf der Claridenhütte, da gibt’s sowas! So konnten wir den Abend dann vergnügt zu sechst bei Hans und Brigitte im Bett ausklingen lassen. Als wir dann am dritten Tag morgens aus dem Hüttenfenster geschaut haben, ist uns das Lachen allerdings vergangen, wenigstens vorübergehend: Nebel und Dauerregen, und das auch noch an dem Tag, an dem die Gletscherüberquerung auf dem Programm steht (der geneigte Leser merkt: Grödeln oder Steigeisen gehören bei dieser Alpenüberquerung ohne Diskussion zur Grundausstattung!) Zum Glück ist die dritte Tagesetappe von der zu überwindenden Strecke her relativ kurz, es handelt sich um einen Übergang über den Claridenfirn auf mäßig geneigtem Gletschergelände hinauf zum Claridenpass (2942m) und am größten Windkolk der Alpen vorbei zur Planurahütte (2940m), einer einsam auf einem Felseiland inmitten der riesigen Gletscherflächen von Claridenfirn, Sandfirn und Hüfifirn gelegenen SAC-Hütte. So können wir den Vormittag noch abwarten, bevor wir dann nach einem zweiten Frühstück mittags doch endlich aufbrechen müssen, auch wenn der Regen noch nicht wirklich nachgelassen hat. Im Gegenteil, nachdem wir den Gletscher betreten haben, gings mit dem Regen erst so richtig los. Das war auch das erste Mal, dass ich bei stundenlangem Platzregen auf einem Gletscher unterwegs war. Auf ca. 2900m geht der Regen langsam in Schnee über und die Sicht bis zum Erreichen des Claridenpasses war praktisch gleich Null, was eine gehörige Portion Orientierungssinn und Gespür fürs Gelände verlangt hat. Wie ein paar begossene Pudel standen wir dann oben auf der Passhöhe, als plötzlich das absolut Unerwartete passiert: Es reisst auf, die Wolken verfliegen innerhalb weniger Minuten und wir haben den gigantischsten Fernblick über die zig Quadratkilometer überspannende Gletscherwelt, den man sich vorstellen kann. Umrahmt von Dreitausendern stehen wir da und schauen und staunen. Da viele von uns zum ersten Mal zu Fuß auf einem Gletscher unterwegs waren, war die Begeisterung natürlich riesig! Wer denkt da auch schon an so Nebensächlichkeiten wie Sonnencreme? Das Ergebnis unserer Nachlässigkeit konnten wir dann am nächsten Morgen beim Frühstückstisch im Gesicht des Sitznachbarn förmlich ergreifen. Noch ein Wort zur Gletscherszenerie dort oben: Obwohl die umgebenden Gipfel „nur“ ca. 3300m hoch sind (außer dem direkt benachbarten Tödi (3614m)), dehnen sich die Gletscherflächen dort oben auf Hochplateaus, die auf gerademal 2500m liegen aus und die Gletscherzungen reichen teilweise bis 1900m herunter. Dies gibt der Szenerie einen dementsprechend hochalpinen Charakter, der auch ganz real vorhanden ist. Auf der Planurahütte wähnt man sich, wenigstens im Frühsommer, wenn der Altschnee die Gletscher noch meterdick bedeckt, in einem Gelände, das vom alpinen Charakter eher den Westalpen zuzuordnen ist, als den Ostalpen. Das liegt vor allem an den sehr hohen Jahresniederschlägen, die die Region abbekommt, und die hier oben doch noch zumeist als Schnee fallen, da von Westen keine größeren Hindernisse die Niederschlagsfracht der Wetterfronten aufhalten könnten. Nach einem weiteren exklusiven Hüttenabend bei „unserer“ Wirtin Silvia Blatter, einer ausgesprochenen Alpinistin und Bergwachtlerin, der wir noch die Post von der Claridenhütte überreichen durften, geht’s am vierten Tag, ab jetzt wieder bei strahlendem Sonnenschein, über den Sandfirn hinunter zum Sandpass (2780m). Zuvor jedoch lassen wir es uns jedoch nicht nehmen, den 3036m hohen Piz Cazarauls, sozusagen der Hüttenberg der Planurahütte, zu besteigen, einem Gipfel, der nach Übergang vom Gletscher auf einen Felsrücken mit leichter Kletterei am Blockgrat unschwer in ca. 1 h zu erreichen ist. Gleichzeitig der höchste Punkt der gesamten Alpenüberquerung. Ein Dreitausender ist also auch mit dabei! Der Abstieg vom Sandpass, direkt unter den Wandfluchten des Tödi (oder besser gesagt dessen Nebengipfel, des Chli Tödi) gelegen, gestaltet sich orientierungstechnisch zunächst anspruchsvoll, muss man doch die richtige Stelle am Grat, von der aus man ins Val Russein hinabsteigt, erstmal finden. Man sieht, hier handelt es sich nicht um eine durchweg markierte Bergwandererautobahn, auf der man sozusagen nur den Füßen des Vordermannes folgen muss. Ganz im Gegenteil: Nachdem wir uns bei der „Silv“ von der Planurahütte verabschiedet hatten und in die weite Gletschereinsamkeit aufgebrochen waren, haben wir den restlichen Tag bis hinunter ins Tal keine Menschenseele mehr gesehen, geschweige denn getroffen. Im Frühsommer macht das Val Russein, durch das wir den restlichen Tag bis nach Cumpadials (961m) im Tal des Vorderrheins absteigen, einen besonders imposanten Eindruck, vor allem durch die endlos scheinenden Alpenrosenhänge und die überall zusammenfließenden Schmelzwasserbäche, die desöfteren überquert werden müssen. Nach einem langen Tag nehmen wir noch die Matterhorn-Gotthard-Bahn (diesmal ein Zug, keine Seilbahn), um die restlichen paar Kilometer von unserem kleinen Bergdorf Cumpadials bis zum Hotel Cresta in Dieni nahe dem Oberalppass zu überwinden. Aber halt amal, soweit isses gar nicht gekommen, dass wir den Zug hätten nehmen müssen. Da hat uns doch glatt ein selbstloser Schweizer sein bestelltes Taxi überlassen, damit wir gleich zu unserer Unterkunft losfahren können, während er dann den Zug genommen hat. Da könnte sich mancher Zeitgenosse in unseren Gefilden mal eine Scheibe davon abschneiden. Obwohl uns die Situation schon fast unangenehm war (und ich als einziger auch schon eine Fahrkarte am Automaten erstanden hatte, die ich noch bei e-bay verscheppern muss) haben wir das Angebot doch dankend angenommen und uns alsbald im Hotel einquartiert. Dort nimmt sich der Hotelbesitzer auch noch fast den ganzen Abend Zeit, um sich nach dem sehr guten Abendessen zu uns an den Tisch zu setzen und aus dem Nähkästchen zu plaudern. Inzwischen haben wir uns auch schon an die Schweizer Bierpreise gewöhnt (weils eh scho Wurst is) und uns noch so einige Halbe (oder besser: 0,58) gegönnt. Der Abend ist zugleich leider schon der letzte Abend für Steffi und Evi, die bereits im Vorfeld schon beschlossen haben, Ihre Familien nicht zu lange im Stich lassen zu wollen und so wird es am Morgen des fünften Tages scho ein recht schwerer Abschied von den beiden am Bahnhof von Dieni, wo wir zu viert weiterfahren zum Oberalppass (2044m) und die beiden in die andere Richtung nach Chur. Die einhellige Meinung darüber bei unserem ersten Wiedersehn in der Heimat war jedenfalls: Des mach mer so nimmer, nächstes Mal simmer auf alle Fälle voll dabei! (Sorry, liebe daheimgebliebenen Familienväter, aber bis dahin sind die Kinder ja auch scho a Stückl größer…) Uns kommt es in den ersten Stunden unseres weiteren Weges, der uns an der Rheinquelle vorbei zur Maighelshütte (2313m) führt, auch sehr komisch vor, jetzt auf einmal nur noch zu viert rumzulaufen, da hat einfach „irgendwas“ gefehlt. Der Rhein entspringt dort im Lai da Tuma (2344m), oder besser gesagt, dieser See wurde offiziell als „Rheinquelle“ definiert. Nach unserem Klamottenshopping und kurzer Einkehr in der Maighelshütte (es gab dort so schöne Hütten-T-shirts!), haben wir der dortigen Wirtin noch die Post von der „Silv“ von der Planurahütte übergeben (wir hätten in der Woche bald der Schweizer Bundespost Konkurrenz gemacht), und machen uns auf ins hinterste Val Maighels, wo uns am Talschluss ein steiler Aufstieg über Altschneefelder erwartet. Auch an diesem Tag treffen wir nach Verlassen der Maighelshütte bis kurz vor unserer nächsten Unterkunft, der Cadlimohütte (2570m), keine Menschenseele. Der Abstieg vom Passo Bornengo (2630m), der den Talschluss des Val Maighels markiert, hinunter Richtung Süden verlangt uns noch einige Konzentration beim Gehen mit den Grödeln in sehr steilem Altschnee ab, da das Gelände recht abschüssig über einer größeren Geländekante verläuft. Obwohl die Cadlimohütte nicht viel tiefer als der Passo Bornengo liegt, zieht sich der Weg dorthin durch große Gegenansteige ganz schön in die Länge und zum ersten Mal in dieser Woche macht sich so ein „Leck-mich-am-Arsch-ich-bin-fix-und-fertig-Gefühl“ in unserer nun stark dezimierten Gruppe breit, aber das ist ganz normal. Irgendwann innerhalb einer einwöchigen Alpenüberquerung ist immer mal ein Tiefpunkt erreicht, und der kommt meistens am fünften Tag, weil man ja doch schon fünf Tage pausenlos am Bergsteigen ist und das Ziel immer noch nicht in greifbarer Nähe. Dieses Gefühl verschwindet aber dann recht schnell wieder mit jedem Meter, den man in Richtung Süden kommt, weil erstens das Ziel doch näher rückt und sich zweitens so ein südliches Flair breit macht, das bei allen dieses schöne Gefühl von Urlaub erweckt. Hier auf der Cadlimohütte isses dann soweit mit dem südlichen Flair, der uns von der Gotthardautobahn im Tal von Airolo herauf schon entgegenweht. Der Sprachwechsel von Schweizerdeutsch nach Italienisch hier oben am Passo Bornengo tut natürlich sein Übriges dazu. Zur großen Verwunderung aller Gäste tummeln sich hier oben auf der Cadlimohütte ganze Heerscharen von Steinböcken, die sich auch sehr fotogen direkt vor der Hütte auf einem Felsen ablichten lassen. Der Zauber dieses Naturspektakels konnte von uns doch recht bald „entzaubert“ werden, nachdem wir festgestellt hatten, dass der Hüttenwirt dort oben auf dem Felsen einen Salzleckstein installiert hat. Aber trotzdem: Steinböcke aus solcher Nähe beobachten zu können, das ist schon imposant, egal ob mit Salzleckstein oder ohne. Auf der Cadlimohütte macht sich dann zum ersten mal wieder ein Zivilisationsgefühl breit, da dort schon wieder mehr los ist, vor allem durch italienische Tagestouristen, die von Airolo her aufsteigen. Dennoch haben wir ein Lager für uns allein und auch der weitere Weg hinunter zum Lago Ritom (1850m) gestaltet sich am Vormittag des sechsten Tages recht einsam, um nicht zu sagen völlig menschenleer. Der Weg bringt uns vorbei an vier wunderschön gelegenen Seen (Lago di Dentro, Lago Scuro, Laghetti di Taneda, Lago di Tom) zum Lago Ritóm, daher der Name Fünfseen-Abstieg. Unweit dessen Ufer ist die Gipfelstation der Standseilbahn Piora(1794m)-Piotta(1010m), die wir nutzen, um die knapp 800 Höhenmeter ins Tal von Airolo zu überwinden (die vierte Seilbahn, diesmal wenigstens nur bergab!). Wer noch nie mit einer Standseilbahn unterwegs war, der sei gleich hier schon mal gewarnt: Höhenängstliche können diese Seilbahn nur mit verbundenen Augen benutzen! Obwohl die objektiven Gefahren bei einer „normalen“ Seilbahn sicherlich vergleichbar, wenn nicht sogar größer sind, kommt es einem in diesem schrägen Kasten so vor, als ob die ganze Geschichte gleich mitsamt den Insassen auf den ca. 60° steilen Gleisen ungebremst ins Tal rumpelt (so war wenigstens mein Eindruck). Trotz allem hat uns die Schaffnerin aber sicher ins Tal befördert, wo wir dank der Gotthardautobahn, die man zu Fuß überqueren muss, gleich mal den ersten gescheiten Zivilisationsschock bekommen (es gibt natürlich einen Fußgängerüberweg!). Nach einer 20-minütigen Busfahrt geht’s auf der anderen Talseite von Rodi mit der Seilbahn zum Lago Tremorgio (1850m) hinauf (des is jetzt schon die fünfte Seilbahn in einer Woche, soviel bin ich in den letzten 10 Jahren zusammengenommen net mit ner Seilbahn gefahren, ohne Scheiß!). Nachdem wir das Angebot der öffentlichen Tessiner Transportmittel im Airolotal nun vollends ausgeschöpft haben, hat uns die Natur wieder: Eine kurze Mittagseinkehr hoch über dem Ufer des Lago Tremorgio, der kreisrund wie ein türkisblauer Farbfleck in einem dunkelgrünen, waldgesäumten Talkessel liegt, lässt ab hier jetzt richtig die Urlaubsstimmung am Lago Maggiore aufkommen. Der weitere Weg führt uns über die Alpe Campolungo (2086m) zum gleichnamigen Pass auf 2318m. Kurz vor dem Pass begegnet uns noch eine interessante geologische Formation: Zwischen dem hier üblicherweise immer noch vorliegenden Zentralgestein (Granit, Quarz, Glimmerschiefer) hat sich eine gewaltige Kalkschicht eingeschoben, die unterhalb des Passo Campolungo aufgefaltet wurde und offen da liegt. Man spürt hier sozusagen schon die Nähe der südlichen Kalkalpen. In dieser Formation finden wir neben großen einkristallinen Gipskristallen noch so manch andere geologische Rarität. Auf der drübigen Seite des Passes geht es dann beständig hinab Richtung Valle Maggia. Da es die Zeit erlaubt, genießen wir auf einem Almboden noch die volle Nachmittagssonne bei einem ausgedehnten Nickerchen, um uns dann endgültig dem letzten Teilabschnitt dieser Alpenüberquerung, dem Abstieg nach Fusio (1281m), dem letzten Bergdorf im hintersten Valle Maggia zu widmen. Der sechste und zugleich letzte Tag kommt uns, nachdem wir am Nachmittag gegen 17 Uhr unten ankommen einfach nur ewig lang und wunderschön vor, als wären es schon mehrere Tage her, dass wir auf der Cadlimohütte morgens gestartet sind. Aufgrund der freudigen Erwartung unseres zweitägigen Aufenthaltes im südlichen Flair an den Ufern des Lago Maggiore hört man von keinem aus der Gruppe auch nur die leiseste Andeutung von Erschöpfung. Alle sind immer noch topfit. Manche lehnen sich sogar soweit aus dem Fenster, zu behaupten, sie könnten jetzt ohne Probleme noch eine Woche so weitermachen. Des sollt mer echt mal probieren, wer weiß, des würd bestimmt auch noch gehn! Wir schlendern noch eine kurze Weile durch unser Bergdorf Fusio und lassen es uns bei unserer ersten „Caprese“ (=Tomate-Mozzarella-Basilikum) in einer kleinen Wirtschaft gut gehen. Es dauert nicht mehr lang, da kommt auch schon unser Privatchauffeur aus der Heimat, der mit uns noch die restlichen zwei tage am See verbringt. Herzlichen Dank, Markus, dassd extra wegen uns noch drei Tage Urlaub genommen hast! Und was hat er dabei? Einen Kasten Aktien Hell! Da war die Welt dann vollends in Ordnung, au wenn´s bloß 0,33er waren! Von hier ist es noch ein Katzensprung zum Lago (es sind zwar immer noch 40km, was einem mehrtägigen Fußmarsch durchs Gebirge entsprechen würde), aber der Audi A6 überwindet die kurvige Bergstrecke hinunter nach Locarno in wenigen Minuten (so kommt es uns wenigstens vor) und wir beziehen am Abend glücklich und zufrieden unsere letzte Unterkunft, die Dachwohnung incl. Dachterasse der Villa Costantina, einer alten Villa mit riesigem Garten mitten im Ortskern von Cannobio am italienischen Ufer des Lago Maggiore. Auch diese Unterkunft erwies sich wiedermal als absoluter Glücksgriff, schon allein von der Lage her, aber auch und vor allem von Ihrer Gastfreundlichkeit. Wir hatten echtes Glück, die Unterkunft so einfach ein paar Wochen vorher noch zu bekommen, da diese in Jahren, wo die Touristen normal unterwegs sein können, zwei Jahre im Voraus schon ausgebucht ist. Da die Freizeitmöglichkeiten am Lago Maggiore ja schier unbegrenzt sind, ist es uns in den zwei Tagen natürlich auch nie langweilig geworden. Wir sind gleich am nächsten Tag wieder aufn Berg (kein Witz!). Aber auch die Blumenliebhaber und Baderatten sind am See und in den botanischen Gärten auf seinen Inseln auf ihre Kosten gekommen, ganz zu schweigen von den kulinarischen Höhenflügen!

Abschließend kann wirklich nur noch gesagt werden, dass es Alles in Allem eine saumäßig gelungene Unternehmung geworden ist, sowohl von der abenteuerlichen Seite, als auch von der sportlichen Seite und vor allem von der geselligen Seite. Eine solche Unternehmung steht und fällt mit der Gruppe, die zusammen unterwegs ist und man kann sagen, dass wir es besser nicht hätten treffen können! Als das besonderste Lob hab ich es angesehn, als manche aus der Gruppe sagten, es sei der schönste Urlaub gewesen, den sie bisher zusammen verbracht haben (da frag ich mich: wo warts ihr bisher im Urlaub?!?), nee Schmarrn, Spass bei Seite. Es war, das kann man ohne zu zögern behaupten, eine der schönsten Touren, die ich in der Ortsgruppe Steingaden bisher organisiert habe und auch eine der schönsten Urlaubswochen für mich persönlich. Herzlichen Dank dafür!

 

Niko Fischer